Die Auseinandersetzung mit ihrer Nahtoderfahrung musste die Verunfallte erst einmal zurückstellen. Denn nach dem Unfall ging es in erster Linie ums Überleben und um die Bewältigung ihrer Schmerzen. «Es war ein unglaublicher körperlicher Kampf. Vor dem Unfall war ich eine sportliche, junge Frau. Danach war ich ein ganz anderer Mensch. Ich war müde und erschöpft, lebte mit enorm starken Schmerzen.» Schäpper konnte ihrem damaligen Job als Zahnarzthelferin nicht mehr nachgehen, wurde vorübergehend zum IV-Fall. Der Heilungsprozess zog sich über Jahre hin.
Das Bedürfnis, die Nahtoderfahrung irgendwie einzuordnen, kam für Schäpper erst später. Sie begann, Bücher zum Thema zu lesen – angetrieben vom Wunsch zu verstehen, was hinter dem Erlebten steckt. «Mit meiner Familie habe ich nie darüber gesprochen. Bei ihnen war absolut kein Bewusstsein für so etwas vorhanden.»
Tests an Ratten
Nahtoderfahrungen, wie Schäpper sie erlebt hat, beschreiben Betroffene unterschiedlichster Kulturen ähnlich – im Zusammenhang mit einem warmen Licht, das ihnen ein Gefühl von Liebe und Frieden gab. Sie berichten auch, wie sie sich von ihrem Körper lösten, in einen Tunnel gezogen wurden oder auf verstorbene Verwandte trafen.
Obwohl die Fachwelt geteilter Meinung ist, kann die Wissenschaft solchen Erscheinungen annähernd erklären. Forscher der University of Michigan haben einen an Ratten durchgeführt. Sie untersuchten ihre Hirnaktivitäten im Wachzustand, unter Narkose und nach einem Herzstillstand.
In den ersten 30 Sekunden nach dem Herzstillstand zeigten die Tiere starke Hirnwellen, als ob dieses wach und stimuliert wäre. Diese Wellen überstiegen sogar die Werte des Wachzustands. Das bedeutet, dass das Gehirn im frühen Stadium des klinischen Todes durchaus zu elektrischer Aktivität fähig ist, was möglicherweise eine Nahtoderfahrung auslösen könnte.
Untersuchungen am Menschen nicht möglich
Nicht nur bei sterbenden Patienten könne es zu solchen Erlebnissen kommen, erklärt Dr. med. Lukas Imbach (41), Oberarzt in der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich, gegenüber Vayamo. «Bekannt ist, dass auch bei Ohnmachtsanfällen wegen der fehlenden Blutversorgung des Gehirns zum Beispiel ein Tunnelblick auftreten kann.» Es sei eine kurze Funktionsstörung eines ansonsten funktionierenden Gehirns.
Was Schäpper erlebt hat, könnte laut Imbach mit einer Blutunterversorgung des Gehirns zusammenhängen. «Wenn das Gehirn kurz nicht oder ungenügend mit Blut versorgt ist, treten solche Phänomene häufiger auf, da das Gehirn in dieser Phase nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird.» Dabei spielten sich diese Phänomene aber ausschliesslich im Gehirn ab. Mit dem Körper der Person passiere während einer Nahtoderfahrung nichts.
Man könne Patienten während der Nahtoderfahrungen nicht mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen, sagt Imbach. «Doch Tierexperimente, beispielsweise an Mäusen, haben gezeigt, dass insbesondere kurz vor Eintreten des Hirntodes eine hohe Gehirnaktivität nachweisbar ist. Somit ist es durchaus denkbar, dass Nahtoderfahrungen eine ganz normale Reaktion eines sterbenden Gehirns sind.»
Durch Unglück stärker geworden
«Rückblickend sehe ich, wie sehr mich das Ganze verändert und stärker gemacht hat», sagt Schäpper, die sich zum Coach und zur Prozessbegleiterin umschulen liess. In ihrer eigenen Praxis unterstützt sie Menschen dabei, eine gesunde Beziehung zu sich selbst zu entwickeln und Probleme zu bewältigen. «Wenn ich das alles durchstehen konnte, können auch meine Klienten lernen, Beziehungsprobleme, Blockaden und Gefühle, mit denen sie nicht umgehen können, zu überwinden und daran zu wachsen.»